Mord IM RAHMEN
INFO
Paperback
176 Seiten, EUR 14,80
ISBN: 9783903273191
E-Book ISBN: 9783903273207
Erscheinungsdatum: 10/2025
Sprache: Deutsch
INHALT
Ein toter Ermittler in einer Galerie. Ein Kurator, der sich angeblich das Leben nimmt. Und Hinweise, besser versteckt als so manches Motiv.
Für Kommissar Eckensperger beginnt eine Woche voller Rätsel. An seiner Seite wie gewohnt: Nicole Sedlacek mit schwachem Magen, aber kriminalistischem Feingespür, Sebastian Seiler – neuerdings kunstaffin und emotional angeschlagen sowie Sabine Hofstädter, frisch beförderte Sekretärin mit mehr Software-Know-how als Erfahrung.
Zwischen grünem Tee, gebrochenen Herzen und den besten Debrezinern der Stadt entspinnt sich ein Fall, bei dem nichts zusammenpasst – bis am Ende doch alles ein Bild ergibt.
LESEPROBEN
Leseprobe 1
Sebi war verliebt.
Das zu erkennen, erforderte von seiner Kollegin Nicole Sedlacek wahrlich keinen wie immer gearteten kriminalistischen Spürsinn. Höchstens ein funktionierendes Sehorgan.
Sein verträumter Blick aus dem Fenster, oft im Duett mit einem dümmlichen Grinsen, war bereits ein untrüglicher Hinweis. Dazu das ständige, ach so »heimliche« Kontrollieren des Handys, gefolgt von ebenso »diskreten« Tipporgien – da hatte jemand ziemlichen Einfluss auf den sommersprossigen Ermittlungsbeamten. Und zwar nicht zu knapp. Neuerdings verzichtete ihr engster Verbündeter in der Abteilung Mordkommission auf seinen obligaten Nachmittagscappuccino und schlürfte stattdessen – eher lustlos – Grünen Tee. Wenn das nicht nach spiritueller Umkehr roch? Zur Krönung des Ganzen thronte dieser asiatische Sprüchekalender auf seinem Schreibtisch. Jeden Tag eine frische, fernöstliche Binsenweisheit, schön in Kalligrafie gesetzt, mit Lotosblüten und Sonnenaufgängen garniert. Das war so gar nicht der Sebastian Seiler, den Nicole kannte – frech, laut, geerdet.
»Den hat es ja ordentlich erwischt«, schoss es Nicole zum wiederholten Mal durch den Kopf. »Bin gespannt, wann er endlich mit seiner Herzensdame rausrückt.«
Das heutige Zitat hatte es wirklich in sich: »Man sagt: Trägst du einen grünen Zweig im Herzen, wird sich ein Singvogel darauf niederlassen.«
Was sollte der Schwachsinn? Therapeutische Botanik rund um Federvieh?
Für eine gestandene Ermittlerin waren derlei Sätze auf pastellfarbenem Hintergrund äußerst schwer zu ertragen. Und was sollte zu allem Überdruss diese anhaltende Spanne ohne Mord und Totschlag? Hatte etwa die ganze Stadt zu innerer Einkehr und Beschaulichkeit gefunden? Nur deshalb konnte sie sich überhaupt so intensiv mit Sebis Hormonhaushalt beschäftigen.
Die Monotonie war erdrückend, trist wie das derzeitige Wetter. Ein unentschlossener Frühlingsbeginn, grau, windig und mindestens fünf Grad unter dem langjährigen Durchschnittswert der dritten Märzwoche. Darüber konnten auch prall gefüllte Knospen und frühlingsbunt dekorierte Schaufenster nicht hinwegtäuschen.
Ihr Chef, Hauptkommissar Gernot Eckensperger, hatte sich angesichts der Flaute kurzerhand freigenommen. Ein idealer Zeitpunkt, die angesammelten Überstunden abzubauen, bevor seine schlechte Laune das komplette Revier vergiftete.
Um nicht nur tatenlos herumzusitzen, hatte Nicole ihre Ablage bis zum Fundament des dreigeschossigen Metall-Organizers aufgearbeitet. Sauber verschnürt wartete der letzte Stapel auf die Überführung ins Depot. Nun machte sie sich daran, ähnliche Ordnung in ihren Maileingang zu bringen.
»Wenn dieser vorübergehend installierte Möchtegern-Polizeidirektor noch einmal so eine lahme Nachricht zum Umgang mit Dienstwaffen raushaut, dreh ich ihm oder seinem PC den Hals um«, schimpfte sie vor sich hin und riss damit ihren Zimmergenossen aus seinen Tagträumen.
»Großartig«, konterte der mit einem Grinsen, »dann hätten wir endlich wieder einen Mord! Oder auf jeden Fall einen Akt sinnloser Gewalt. Wobei die Täterin ja bereits im Vorfeld ein Geständnis abgelegt hat. Keine Challenge für mein kriminalistisches Superhirn.«
»Deine von dir schwer überschätzten grauen Zellen könnten sich mal den Papierbergen auf deinem Tisch widmen«, knurrte Nicole. »Ich dagegen hab mich vorhin dabei ertappt, die schwarzen Streifen auf dem Bodenbelag zu zählen und eine lethargische Fliege auf der Fensterscheibe zu beobachten, minutenlang. Das heißt was. Die vom Einbruchsdezernat dürfen sich wenigstens mit dem spektakulären Juwelenraub vom Faschingsdienstag vergnügen …«
»Schon seit zwei Wochen und drei Tagen«, fiel ihr Sebastian ins Wort.
»Und die von der Abteilung ›Organisierte Kriminalität‹ mit unserem ›Lieblingskollegen‹ Michael Mauser können auch nicht über Arbeitslosigkeit klagen. Ein bisschen unerlaubtes Glücksspiel da, etwas illegale Prostitution und Drogenhandel dort. Bloß wir sitzen hier fest, vakuumverpackt in Langeweile, ganz ohne Ablaufdatum. Dieses ›Nichtstun‹ zehrt an meinen Nerven …«
»Soll ich dir ein paar Akten als Nervennahrung ‘rüberschieben?«
Sebastians gespielte Anteilnahme war rührend, aber wirkungslos gegen das monotone Ticken der Uhr und das leise Summen der Fliege, die mittlerweile neue Kraft getankt zu haben schien.
»Du meinst, damit zumindest die in Bewegung kommen? Vergiss es! Deine Hälfte machst du schön selbst. Überlastet bist du ja nicht gerade, du gibst dir nur bei der Arbeit genauso wenig Mühe wie in unseren Gesprächen. Seit Wochen bist du lediglich körperlich anwesend.«
Mit einem entschlossenen Ruck stand sie auf, pfefferte ihren Drehsessel an die Schreibtischkante und schnappte sich ihre Sporttasche.
»Ich bin im Fitnessraum, sollte mich wer suchen oder sich ein Gangster unserer Unterbeschäftigung erbarmen.«
Das war‘s für Nicole, doch Sebi ließ nicht locker: »Eigentlich hättest du dir deine Keckheiten sparen und gleich sagen können: Scheiß drauf, ich will auf den Boxsack eindreschen und mich ordentlich auspowern.«
»Ganz ehrlich? Ja, hätte ich! Aber ein paar Bosheiten zwischendurch fördern das Betriebsklima.«
Leseprobe 2
Die Galerie hatte durch die Scheinwerfer der Spurensicherung, allseits hektischer Betriebsamkeit sowie des grotesken Leichen-Stilllebens erheblich an Chic verloren. Katja Stegmüller lehnte an einer der beiden Säulen im Raum, den Kopf krampfhaft vom Geschehen rund um den Toten abgewandt. Sie war ungeschminkt und wirkte, als hätte man sie vor kurzem überfallartig aus dem Bett geholt.
Neben dem Opfer kniete Doktor Willibald Weissenthal, Gerichtsmediziner mit Altmeister-Status und langjähriger Berufsgefährte des Kommissars. Die Vertrautheit zeigte sich in der flapsigen Begrüßung.
»Hallo Ecki, schön, dich wiederzusehen. Selbst, wenn dein Weg stets mit Leichen gepflastert ist.«
Eckensperger hielt ein »Servas, Medizinalrat, kein Grund, mir was vorzuwerfen – deine Kundschaft sieht auch nie besonders fit aus« dagegen.
Es war ihm unangenehm, vor der versammelten Truppe mit seinem »i«-Namen angesprochen zu werden. Nur wenigen ließ er das durchgehen, der weißhaarige Mediziner zählte dazu.
»Bist schon am Einpacken?«
Die Antwort lag auf der Hand. Soeben stopfte der Pathologe seine Instrumente in die altmodische Arzttasche, die mit einem resoluten Klick zuschnappte.
»Jawoll«, erklärte er aufgeräumt. »Körpertemperatur gemessen, Mundabstrich gemacht. Obwohl die Todesursache kaum Zweifel lässt: ein saftiger Schlag auf den Hinterkopf, klassisch mit stumpfem Gegenstand. Den dürftet ihr diesmal nicht lang suchen müssen …«
Auch der Kommissar hatte bereits mit Genugtuung das blutige Brecheisen unweit des Toten entdeckt. Jetzt interessierte ihn vor allem die Ersteinschätzung seines Kollegen – Weissenthals Spontanbefunde waren berühmt-berüchtigt.
»So viel vorab: Der Tod trat vermutlich in der Nacht zum Sonntag ein. Die Totenstarre ist vollständig ausgeprägt, aber wieder leicht lösbar – das spricht für über 24 Stunden. Die Leichenflecken sind umlagerungsstabil. Und die Körpertemperatur? Gleich null. Auf den Punkt gebracht: Der Mann ist durch. Mein geschultes Auge täuscht sich selten. Werter Ecki, schau dir den Burschen gern an, dann ab in die Gerichtsmedizin mit ihm. Sobald ich ihn auf meinem Tisch hab, kann ich mehr sagen.«
Der Gerichtsmediziner schnippte zur Untermauerung seiner Auskunft mit den Fingern an die wächserne Stirn des Opfers.
Eckensperger kniff die Brauen zusammen.
»Und das erkennst du auf den ersten Blick?«
»Auf den ersten Blick, ja. Und mit gefühlten fünf Jahrzehnten Berufserfahrung. Den Rest gibt’s wie immer später, dafür schriftlich.«
Das geschulte Auge zog die Latexhandschuhe aus und erhob sich umständlich. In der Zwischenzeit hatten die Spurensicherer die Position des Leichnams mit Klebestreifen auf dem edlen Boden markiert und dutzende Fotos aus jedem erdenklichen Winkel geschossen. Sebastian gesellte sich auf Eckenspergers Geheiß zu ihnen, um erste Ergebnisse aufzunehmen.
Interessiert inspizierte der Kommissar den Toten – der lag interessanterweise auf dem Rücken, unter dem Hinterkopf eine getrocknete Blutlache. Ein Bein etwas angewinkelt, der Schuh daran saß schief an der Ferse. Die Sohlen waren abgelaufen, das Leder stumpf. Eckensperger zückte seinen Notizblock und notierte rasch ein paar Stichworte – Diktiergeräte vermied er tunlichst.
Dann wandte er sich erneut seinem aktuellen Fall zu. Das Gesicht des Opfers war von der Art, die man sofort wieder vergisst – keine markanten Züge oder auffälligen Merkmale. Ein schmaler Mund, glattrasiert, undefinierbare Haarfarbe. Sein zerknitterter Anzug, ein graubraunes, ausgebleichtes Relikt aus besseren Tagen, hatte im Lauf der Jahre an Frische und Körper verloren. Zu eng war das Sakko obendrein – vor allem um Schultern und Bauch, wo ein einzelner Knopf wacker gegen die Zugkraft kämpfte. Eine Kragenspitze des Hemdes steckte in der Jacke, die andere lugte darüber hervor. Die ungeschickt gebundene Krawatte, wohl ein letzter, verzweifelter Versuch, irgendeine Form von Stil vorzutäuschen, konnte nur als ästhetischer Unfall bezeichnet werden.
Somit passte die Tat bestens zur Leiche: nachlässig, hektisch, geprägt von Kontrollverlust.
Falsches Drehbuch irgendwie. Ein durchdachter, emotionsloser Akt hätte formvollendet ins kühle Ambiente dieser Galerie gepasst. Doch was hier geschehen war, wies keine künstlerischen Züge auf, weder Raffinesse noch Botschaft. Es war ein Akt sinnloser Gewalt. Affekt pur.